Meese weiß es doch auch nicht

erstmals veröffentlicht in: Kölner Stadtanzeiger,  08.06.07, URL: http://www.ksta.de/html/artikel/1179819760320.shtml

Kunst und Theater auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln. Der Maler und Aktionskünstler Jonathan Meese überrascht mit neuer Farbigkeit in der Trinitatiskirche.

Fast ein bisschen versteckt im Programm des Evangelischen Kirchentags eröffnete in der Trinitatiskirche eine große Einzelausstellung mit Bildern des Malers und Aktionskünstlers Jonathan Meese, ehemals „Enfant terrible“, heute feste und viel beachtete Größe der Kunstwelt. Kryptisch ist vieles im Werk des 1970 in Tokio geborenen Künstlers. Wer sich da mit einem riesigen Fragezeichen über dem Kopf sieht, der fühle sich nicht allein - genau dies ist die Haltung, die Meese von seinen Betrachtern und sich selbst einfordert. Passend dazu gab es zur Eröffnung einen Vortrag zum ähnlich rätselhaften Thema „Bei Isis gibt es Caligularisches“ vom Künstler selbst. Dass dann in der Rede weder Isis noch Caligula namentlich erwähnt wurden, versteht sich bei Meese fast von selbst. Nichts liegt dem Künstler ferner, als festen Zuschreibungen oder Kategorisierungen Vorschub zu leisten. So ist die Widersprüchlichkeit zwischen Titel und Inhalt stets Programm, Erwartungen erfüllen sich nie.

Freilich erlebt den Überraschungseffekt nur derjenige, der Meese noch nicht kennt. Für alle anderen ist das, was er spricht, nicht neu. Schon seit Jahren wettert der Künstler gegen Konventionen, Selbstbetrug, die Mechanismen des Kunstbetriebs und das ständige Bedürfnis, alles wissen zu müssen, auf alles eine Antwort haben zu müssen. Auf die Frage eines der zahlreich erschienenen Zuhörer, was denn nun seiner Meinung nach Kunst sei, erwidert Meese also auch entsprechend „Ich weiß es doch auch nicht!“ - dies mit gehöriger (komischer?) Verzweiflung in der Stimme, wobei sich die Verzweiflung wohl weniger auf sein eigenes Unwissen bezieht als vielmehr auf die Sinnlosigkeit der Frage. Natürlich kann niemand wissen, was Kunst ist! Diese Haltung soll von Demut zeugen, kann vielleicht auch als Zeichen von Resignation angesichts unserer als so disparat empfundenen Gegenwart gelesen werden, bedeutet in jedem Falle aber auch ein großes Maß an Freiheit. Wenn von vornherein klar ist, dass es auf die Frage nach dem Wesen der Kunst keine Antwort geben kann, muss man sich beim Kunstbetrachten auch nicht damit quälen, ob das, was man sieht, nun Kunst ist oder nicht. Die Anschauung rückt damit wieder in das Zentrum der Kunsterfahrung.

Trotz der in seinen Aktionen wie auch in seinen Bildern immer wieder durchscheinenden oder gar penetranten Albernheit muss man Jonathan Meeses Antrieb und Tun ernstnehmen. In der Trinitatiskirche bietet er uns zur Anschauung 27 seiner großformatigen Bilder, von denen er 24 eigens für diese Ausstellung gemalt hat. Wie gewohnt mit großer spontaner Geste gemalt, zeigen die Gemälde - bis auf wenige Ausnahmen im vertrauten Schokoladen- bzw. Kotbraun - eine neue Farbigkeit und Stofflichkeit der Farbe. Passend zum Kirchentag benutzt Meese vornehmlich Töne von rotorange über apfelsinenfarben bis hin zu apricot und lachs. Hinter dem Altar leuchten zwei schmale, hochrechteckige Bilder in zartem Orange und hellem Grün.

Im Gegensatz zu den früheren dicken, direkt aus der Tube gedrückten Farbschlieren begegnen nun mehr verdünnte, transparente Pinselstriche und Flächen, in Kontrast gesetzt zu aufgeklebten und übermalten viereckigen Papierblättern. Dazwischen die vertrauten Meese-Zeichen wie das (eiserne) Kreuz, Geldscheine, die Sonne, Adolf Hitler mit gelber Perücke aus Ölfarbe, Postkarten von James Bond und immer wieder Schwarzweißfotos vom Künstler selbst, bisweilen mit ausgeschnittenen Augenhöhlen. Wie wichtig der Kontext für das Verständnis von Kunstwerken ist, zeigt sich in der Trinitatiskirche einmal mehr: in der Kirche erhält die religiöse Bedeutung von Zeichen wie dem Kreuz, der Sonne, dem Segelboot und dem Auge plötzlich größeres Gewicht. Zu ihren Gunsten treten die typischen mythologischen Verweise in den Hintergrund bzw. werden weniger eindeutig.

Worte und Losungen sind auch wieder in das Werk integriert: „Solange du noch nicht den letzten Atemzug tatest, kannst du noch aufhören, der Welt nach dem Maule zu reden.“ Das ist wohl etwas, woran sich auch Meese immer wieder selbst erinnern muss. Wie schwierig die Position eines Künstlers ist, der einerseits gegen die Mechanismen des Kunstbetriebs arbeiten will und andererseits von diesem allzu gerne einverleibt wird, ist nur zu ahnen.