Narreme, Unbestimmtheitsstellen, Stimuli – Erzählen im fotografischen Einzelbild

erschienen in: Die fotografische Wirklichkeit. Inszenierung. Fiktion. Narration, hg. von Lars Blunck, Bielefeld (transcript) 2010

Im letzten Jahrzehnt ist das Erzählen zunehmend ins Zentrum künstlerischen Interesses gerückt. Die Auseinandersetzung mit kunstwissenschaftlichen Beiträgen über künstlerische Erzählstrategien aber zeigt, dass der Begriff des Erzählens in der Kunstwissenschaft nicht eindeutig bestimmt ist, ebenso wenig wie ›Erzählung, ›Erzähler und ›narrativ. Damit sind diese Begriffe, wie sie bislang angewendet wurden, als theoretische Termini unbrauchbar geworden. Die im Folgenden vorgenommene neue Festlegung der Terminologie erfolgt auf Grundlage der innerhalb von drei verschiedenen Forschungsbereichen – der Kunstwissenschaft, der literaturtheoretisch begründeten Narratologie und der intermedial orientierten Erzähltheorie – erschienenen Forschungsbeiträge, deren Ergebnisse zu diesem Zwecke zusammengestellt worden sind.[1]

Eine Untersuchung erzählerischer Strukturen, Strategien und Spuren darf niemals zum Selbstzweck einer narratologischen Betrachtung werden – im Zentrum der kunstwissenschaftlichen Analyse muss immer das Kunstwerk (in diesem Falle das monoszenische Einzelbild) mit seinen sämtlichen formalen, inhaltlichen, stilistischen und über sich selbst hinausweisenden Eigenschaften stehen. Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang das Bild Eviction Struggle (1988) von Jeff Wall herangezogen, dessen Fotografien häufig vielsagend als »single-framed movies« bezeichnet werden.

Terminologie

Wenn man sich eingehend mit dem Phänomen der Narrativität in bildenden Kunstwerken beschäftigt, stößt man sehr schnell auf das Problem des häufig unreflektierten und daher inzwischen fast inflationären Gebrauchs des Begriffs ›narrativ oder auch ›erzählerisch – so gut wie jedes Kunstwerk kann auf die eine oder andere Weise erzählen, und so wichtig die Feststellung des narrativen Gehalts des jeweiligen Werkes zu sein scheint, so problematisch ist es doch, wie undifferenziert der Begriff bisweilen benutzt wird.

Zudem führt die Konstatierung der Narrativität eines Werkes oftmals nicht weiter im Sinne einer konstruktiven Analyse. Häufig erschöpft sich die Deutung gleichsam in der Feststellung dies oder das sei narrativ – oder eben nicht. Weder die eine noch die andere Feststellung ist erkenntnisfördernd im Sinne einer fruchtbringenden Werkanalyse, denn der Einsatz von narrativen Strukturen ist fast immer vor allem ein Vehikel, um bestimmte Inhalte zu transportieren. Umso wichtiger ist es, genau zu untersuchen, wie und welche narrativen Strukturen und Muster eingesetzt werden und welche Bedeutung sie schließlich für die Analyse des jeweilige Kunstwerk haben.

Genauso wenig wie die dichotomischen Ja/Nein-Diskussionen scheint es gewinnbringend zu sein, darauf hinzuweisen – wie es vor allem seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer wieder geschehen ist –, dass der Künstler dem Betrachter es überlässt, eine Geschichte zu Ende zu denken, sich das Vorher und das Nachher selbst zu überlegen. Diese Feststellung findet sich immer wieder in Beschreibungen bildender Kunstwerke, als sei dies eine neue Erfindung sozusagen eine Errungenschaft der Postmoderne. Das ist sie natürlich nicht. Sogar in der Kunstgeschichte ist die Erkenntnis, dass ein Einzelbild ein Vorher und Nachher andeuten kann – oder sogar muss – relativ alt und findet mit Lessings »fruchtbarem Augenblick« einen Ausdruck dafür: »Kann der Künstler von der immer veränderlichen Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkte, brauchen; sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloß erblickt, sondern betrachtet zu werden, lange und wiederholtermaßen betrachtet zu werden: so ist es gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt dieses einzigen Augenblickes, nicht fruchtbar genug gewählet werden kann. Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir darzu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben. [...] dem Auge das Äußerste zeigen, heißt der Phantasie die Flügel binden [...].«[2]

Das Vorher und das Nachher anzudeuten und den Betrachter selber fantasieren lassen, also seine Imagination anzuregen, ist eine so alte Technik wie das Erzählen selbst.

     Um ein Instrumentarium zur Beschreibung und Erfassung bilderzählerischer Vorgehensweisen zu finden, ist es naheliegend sich zuerst den Erkenntnissen der kunstwissenschaftlichen Forschung zuzuwenden. Es ist jedoch unabdingbar diese durch erzähltheoretische beziehungsweise narratologische Methoden zu ergänzen. Daraus lässt sich ein vorläufiges Beschreibungsmodell narrativer Strukturen in der zeitgenössischen Kunst entwickeln.

Bereits 1895 unterscheidet Franz Wickhoff in einem Kommentar zur Wiener Genesis drei »Bilderzählformen« voneinander, die sich jedoch ausschließlich auf Bildsequenzen beziehen.[3] Manchem erzähltheoretisch orientierten Kunsthistoriker gilt dies immer noch als der »bis heute überzeugendste Versuch zur Systematisierung der Erzählformen in der Kunst«,[4] auch wenn er 1947 von Kurt Weitzmann in Frage gestellt und später von Frey und Kluckert differenziert beziehungsweise revidiert wurde[5] und Wolfgang Kemp bemerkt: »Auf diesen Errungenschaften ist die Kunstwissenschaft sitzengeblieben und hat den gesamten structuralist turn und hermeneutische Ansätze zu einem guten Teil versäumt.«[6]

Fast hundert Jahre nach Franz Wickhoff entwickelt Aron Kibédi Varga eine Typologie bildlicher Narration, die sich nach der Anzahl der Szenen in einem Bild gliedert. Varga benennt vier Grundtypen: das monoszenische Einzelbild, das pluriszenische Einzelbild (Simultanbild), die Bildreihe aus monoszenischen Einzelbildern und die Bildreihe aus pluriszenischen Einzelbildern (Simultanbildern).[7]

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine solche Typologie wie die Vargas nur bestimmte Bildtypen erfassen kann und damit lediglich bedingt als Methode zur Erfassung erzählerischer Möglichkeiten im Bild geeignet ist (wobei der Bildbegriff hier so weit wie möglich gefasst wird). Eines der Hauptanliegen der neueren Narratologie beziehungsweise der Erzähltheorie ist es, dass sie auf alle Medien, Gattungen und Formen übertragen werden soll und dafür über rein strukturalistische Methoden hinaus die verschiedensten, der Erscheinungsform und dem Medium der jeweiligen Erzählung angemessenen, analytischen Mitteln einbeziehen muss. Darum sei im Folgenden die Graduierbarkeit von Narrativität als Möglichkeit für eine medienübergreifende Beschreibung erzählerischer Strukturen aufgezeigt.

Um das begrenzte theoretische Instrumentarium der Kunstwissenschaften für eine fundierte Analyse nutzbar zu machen, gilt es, sich der Narratologie beziehungsweise der Erzählforschung zuzuwenden, die üblicherweise zu den Sprach- bzw. Literaturwissenschaften gerechnet wird, jedoch in jüngerer Zeit in Fächern wie Kunst-, Theater-, Film- und Musikwissenschaften an Bedeutung gewonnen hat.

Gegenstand der Narratologie ist traditionell der Text. Gegenstand der Kunstwissenschaft ist das Bild. Auf kunsthistorischer Seite hat Wolfgang Kemp 1989 mit Der Text des Bildes[8] sozusagen auf begrifflichem Wege das Bild zu einem möglichen Gegenstand der Narratologie gemacht. Im selben Band verwendet Felix Thürlemann den Begriff des Bildtextes im Unterschied zur Textillustration, als die ein erzählendes Bild oft immer noch – gerade bei der ikonologisch geprägten Untersuchung – verstanden wird. Thürlemanns Annahme, dass das bildnerische Werk grundsätzlich die gleiche Autonomie als primärer Erzeuger von Bedeutung wie für den »Sprachtext«[9] besitzt, wird hier als Bedingung für jede weitere Untersuchung seines narrativen Gehaltes vorausgesetzt.

Ob und mit welchen spezifischen Möglichkeiten visuelle Kunst in der Lage ist, eigenständig zu erzählen, ist eine der entscheidenden Fragen. Diese befriedigend zu beantworten, verspricht die Heranziehung narratologischer Erkenntnisse und Methoden.


Narrativität als kognitives Schema

Grundlagen für eine intermedial ausgerichtete Erzähltheorie schuf Werner Wolfs Aufsatz Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie, der eine medienübergreifende Methode entwickelt hat.[10] Mit Wolf – und vielen anderen – sei auch in diesem Zusammenhang das Narrative als »kognitives Schema«[11]aufgefasst, das es uns erlaubt, »verschiedene mediale Vermittlungen miteinander in Verbindung zu bringen«.[12] Wolfs Vorschlag für ein Erzählmodell lautet wie folgt: »Das Narrative ist [...] ein kognitives Schema von relativer Konstanz, das auf lebensweltliche Erfahrung, vor allem aber auf menschliche Artefakte, und hier wiederum auf deren makro- wie mikrotextuellen oder -kompositionellen Bereich, applizierbar ist, und zwar ohne dass dabei apriorische Festlegungen hinsichtlich bestimmter Realisierungs- oder Vermittlungsmedien getroffen werden müssen. Dieses Schema nenne ich ›das Narrative bzw. ›das Erzählerische.«[13]

Zu dieser Definition gelangt Wolf über die Festlegung verschiedener Kriterien, die neben dem ontologischen Status die Veränderlichkeit und die Extension des Narrativen betreffen. Die Frage nach der Extension des Narrativen ist mit einer Position zu beantworten, die zwischen der Auffassung des allgegenwärtigen Erzählerischen und derjenigen angesiedelt ist, die das Narrative für bestimmte Medien, beispielsweise den Roman oder den Film, eingrenzt. »Zumindest die Extremformen beider Tendenzen sind [...] zurückzuweisen: eine radikal ubiquitäre Position wegen des Problems, vor ihrem Hintergrund überhaupt Nicht-Narratives noch dingfest machen zu können, und eine allzu partikularistische Tendenz, da sie eine intermediale Perspektive auf das Erzählerische ausschließt. Es erscheint also [...] sinnvoll, hier eine Zwischenposition einzunehmen, die im Übrigen auch gestattet, das Narrative nicht nur als Rahmen für Gesamtwerke (also auf der Makroebene), sondern auch für bestimmte Werkteile (also auf der Mikroebene) anzunehmen, Eine solche Zwischenposition hat darüber hinaus die [...] Konsequenz, dass das Narrative in seinen Realisierungen nicht auf erzählervermitteltes Erzählen, also auf Erzählungen im engeren, epischen Sinn, beschränkt werden darf.«[14]

Die hier vorgeschlagene »Minimaldefinition« des Narrativen lautet damit: Erzählen ist die Darstellung wenigstens von Rudimenten einer vorstell- und miterlebbaren Welt, in der ein Geschehen oder ein Zustand auf anthropomorphe Gestalten zentriert und in einen potentiell sinnvollen, aber nicht notwendigen Zusammenhang eingebunden ist. Demnach können monoszenische Einzelbilder selbst nicht narrativ im Sinne von geschichtendarstellend sein, sondern bestenfalls Geschichten an Hand einer Plot-Phase andeuten. Sie verfügen damit per se über einen »relativ geringen Grad an Narrativität«.[15]


Erzähltes vs. Erzählen und Showing/Telling

Ein wichtiger Aspekt ist die Unterscheidung zwischen Erzählen und Darstellen beziehungsweise Showing und Telling. Zu differenzieren ist zwischen der Darstellung einerseits und der Handlung bzw. der erzählten Welt (Diegese) andererseits.[16]Der Literaturwissenschaftler Stanzel unterscheidet und bezeichnet die schon seit Platon bekannten Möglichkeiten der Distanzierung in der Literatur als berichtende Erzählung bzw. szenische Darstellung.[17]In der englischsprachigen Erzähltheorie wird auch das Begriffspaar simple narration und scenic presentation verwendet oder aber die Opposition Showing vs. Telling.[18]

Anschaulicher, wenn nicht treffender als die Unterscheidung zwischen berichtend und szenisch scheint für die Untersuchung narrativer Strukturen in der bildenden Kunst die Unterscheidung zwischen Zeigen und Erzählen zu sein, die aus diesem Grunde den anderen Termini vorgezogen werden soll.[19] Unabhängig von der Bezeichnung benennen diese Begriffe jedoch dasselbe, und zwar unterschiedliche Abstufungen der Mittelbarkeit.

Dies führt zu der Frage nach dem Erzähler der Geschichte, die für die Fotografie ähnlich gestellt werden muss wie für den Film. Im Film gibt es meist keinen klassischen Erzähler. Das führte die strukturalistische Filmnarratologie zu der Frage, wie die audiovisuelle Filmapparatur auch ohne einen solchen Erzähler erzählen kann.[20]

Dieselbe Fragestellung betrifft alle narrativen visuellen Kunstwerke. Die Filmnarratologie, die sich häufig nicht mit dem einen Schöpfer eines Werkes, sondern mit der »produktionsmittelintensiven und arbeitsteiligen industriellen Produktionsweise im Film«[21] konfrontiert sieht, zieht eine nicht-anthropomorphe Bezeichnung des Erzählers vor. Die Menge der angebotenen Begriffe wird auch in diesem Zusammenhang zugunsten des neutralen und auch in der Literaturwissenschaft gebräuchlichen Terminus Erzählfunktion ignoriert.[22]

In Jeff Walls Eviction Struggle (1988, Großbild-Dia im Leuchtkasten, 229 mal 414cm, ergänzt durch Video-Installation, 9 Bilder) von einem erhöhten Standpunkt die Häuser einer amerikanischen Vorstadt zu sehen. Im Bildmittelgrund weckt eine Szene mit drei Männern die Aufmerksamkeit des Betrachters. Es muss hier gefragt werden, was die auffallend große räumliche Entfernung des Fotografen vom Kernmotiv, der Auseinandersetzung zwischen den Männern, für die Distanzierung der Narration bedeutet. Die Erzählweise geschieht im dramatischen Modus, also ohne Distanz; das Geschehen wird nicht durch Eingriffe des Erzählers gestört. Die große Entfernung erinnert jedoch daran, dass weder Fotograf noch Betrachter selbst Teil der Ereignisse sind. Anhand dieser Beobachtung sei hier das vermeintlich Banale festgestellt, dass im Bild räumliche Distanz erzählerische Distanz hervorruft. Diese Erkenntnis lässt sich allerdings nicht im vollen Ausmaße umkehren, im Sinne der Formel je geringer die räumlicher Distanz zum Geschehen, desto geringer ist die erzählerische Distanz. Besonders interessant unter diesem Aspekt ist bei diesem Werk, dass Wall sich nicht darauf beschränkt, die Fotografie zu präsentieren, sondern der Fotografie Zeitlupen-Videobilder von Nahaufnahmen der auf dem Foto zu sehenden Protagonisten beistellt, also eine Foto-Video-Installation gestaltet hat.[23] Das Heranzoomen eines Motivs, beispielsweise eines Menschen, führt schließlich nicht in den Akteur hinein, wie etwa in der Literatur mit der Bewusstseinsrede, sondern bleibt an der Oberfläche, die sich schließlich in Raster, Punkte, Farbkleckser, Zellen auflöst, womit das Narrative gänzlich aus dem Werk verschwindet und zum Abstrakten wird.[24]

Eviction Struggle also zeigt die Auseinandersetzung dreier Männer, ohne dass eine Innensicht möglich wäre oder eine Erklärung für das Geschehen geboten würde. Andererseits sind, bedingt durch die erhöhte Position des Fotografen, Dinge und Ereignisse zu sehen, die den Protagonisten verborgen bleiben. Insofern weiß die Erzählfunktion, der Erzähler, doch mehr als seine Figuren, jedoch nicht über seine Figuren, die konstituierend für die Handlung und somit die Erzählung sind. Der Erzähler – sofern wir hier die Existenz eines solchen annehmen – nimmt in etwa die Position eines unbeteiligten Nachbarn oder zufällig Vorbeikommenden ein.


Fiktionale vs. Faktuale Erzählung

Wichtig ist hierbei noch einmal zu betonen: Die fiktionale Erzählung ist »– anders als die faktuale Erzählung – per definitionem weder an einen historischen Sprecher noch an einen realen raum-zeitlichen Zusammenhang gebunden. Vom realen Kontext einer fiktionalen Erzählung aus betrachtet gilt dementsprechend, dass sowohl der Erzähler als auch sein Erzählen eine Fiktion, das heißt nicht mehr als die text- und fiktionsinterne pragmatische Dimension des Diskurses darstellen.«[25]

Auf Jeff Walls Eviction Struggle angewendet, bei dem es sich um ein fiktives, inszeniertes Szenario handelt, bedeutet diese Definition, dass Jeff Wall als der historische Autor/Urheber nicht identisch ist mit der Erzählfunktion. Die Perspektive, die dem Betrachter im Bild geboten wird, gilt damit nicht als die Jeff Walls, denn es handelt sich nicht um die Dokumentation, die faktuale Erzählung eines Ereignisses, dessen Zeuge er wurde.

Die Ebene, auf der sich die Erzählfunktion befindet, bezeichnet die Literaturwissenschaft allgemeinhin mit Gérard Genette als extradiegetisch. Auf dieser Ebene kann der Erzähler selbst in Erscheinung treten und gegebenenfalls Informationen über sich mitteilen. Wenn er dann eine Geschichte erzählt, an der er selbst nicht teilhat, dann spricht man davon, dass diese Erzählung eine Binnenerzählung ist und sich auf der intradiegetischen Ebene befindet, die ihrerseits eine weitere Ebene eröffnen kann, die metadiegetisch genannt wird. Dies erinnert an ein mise en abyme, das Bild im Bild (im Bild). In der bildenden Kunst stellt dies einen weitaus selteneren Fall dar als in der Literatur, in der auf diese Strategie immer wieder zurückgegriffen wird.[26]

In diesem Kontext ist auch wesentlich darauf hinzuweisen, dass eine Geschichte aufgefasst werden muss »als Erzählung eines Erzählers für ein Erzählpublikum«.[27] Also nicht die Narration allein kann im Zentrum einer Werkanalyse unter narrativen Gesichtspunkten stehen, sondern mit ihr die Beziehungen zwischen Autor, Erzähler, Erzähltem und Publikum.

 

Erzählzeit vs. Erzählte Zeit

Erzählzeit – Dauer der Darstellung – und erzählte Zeit – Dauer der dargestellten Handlung – sind in den seltensten Fällen deckungsgleich. Sprachlich kann eine große Annäherung zwischen ihnen mit dem Dialog erzielt werden oder aber mit dem Reduzieren einer Geschichte auf einen Moment. Das Problem der Differenz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit für die bildende Kunst wird verkompliziert durch die Diskrepanz zwischen der vollständigen Anwesenheit eines Bildes und seiner langsamen Erschließung; der Bildtext erscheint nicht konstitutiv, wie der sprachliche Text, darum ist die Erzähldauer stark vom Rezipienten abhängig bzw. geht vom Erzähler an ihn über. In diesem Zusammenhang aber muss eingedenk der zuvor gegebenen Definitionen des Narrativen gefragt werden, ob es sich bei solch einem potentiell ewig gedehnten Augenblick überhaupt um eine Narration handelt.

Bei Eviction Struggle wird nicht versucht, möglichst viele Informationen über ein Ereignis in einem Moment zu komprimieren, sondern tatsächlich ist nur ein Augenblick aus einer Handlung zu sehen. Dieser Moment ist es, der nahelegt, darüber nachzudenken, was vorher und nachher passiert ist. Dieser Effekt kann noch nicht narrativ genannt werden, denn ein konkreter Ablauf der Handlung ist nicht abzuleiten, sondern nur vorstellbar. Hier liegt also augenscheinlich eine Entsprechung zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit vor, die jedoch dem Medium Fotografie eignet und nicht unbedingt Aufschluss für unsere Frage nach dem narrativen Gehalt des Werkes gibt.[28]

 

Unbestimmtheitsstellen

In Beschreibungen von visuellen Geschichten der Gegenwart weisen Kunsthistoriker oft darauf hin, dass die erzählten Geschichten Wichtiges aussparen oder von einem Ereignis zum nächsten springen würden.[29]Das Auslassen von Ereignissen und Informationen gehört aber per definitionem zum Erzählen dazu. Ein Erzählen ohne Auslassung ist nicht denkbar. Genauso alt wie das Erzählen ist die Erwartung des Erzählers und die Bereitschaft des Rezipienten, die erzählerischen Leerstellen selbst zu füllen.

Die Leerstelle oder Unbestimmtheitsstelle wird unterschiedlich definiert, so werden ihr verschiedene Funktionen zugeschrieben.[30]– das Wesentliche an ihr ist, dass sie auf der Grundannahme beruht, dass jedes Kunstwerk absichtlich unvollendet ist.[31]»Eine Leerstelle lässt sich grob definieren als eine versteckt oder offen markierte Abwesenheit.«[32] Sie ist die Stelle, an der sich die Vorstellungen und Fantasien des Betrachters entfalten können und sollen.

Als Motivation für eine Auslassung ist vieles denkbar: Dramaturgie, Komik, Trick, Tabus, aber auch Nachlässigkeit oder Konventionen. Leerstellen sind zudem »historisch variabel«[33] und orientieren sich am hermeneutischen Niveau. Das bedeutet, dass eine vom Autor/Regisseur/Künstler wohlbedacht gesetzte Unbestimmtheitsstelle womöglich Jahre nach seiner Entstehung vom Rezipienten nicht mehr wahrgenommen wird. »Es geht nicht darum, dass Zuschauer oder Leser an bestimmten dafür vorgesehenen Stellen intendierte Reaktionen zeigen. Vielmehr ist eine Leerstelle keine ontologische Größe, sondern bestimmt sich selbst aus der Lektüre. Dort, wo der Leser oder die Leserin auf eine Unbestimmtheit reagiert, ist eine Unbestimmtheitsstelle.«[34]Ein Problem für die Beschreibbarkeit stellt außerdem der Umstand dar, dass eigentlich nichts lückenlos, also ohne Unbestimmtheit, dargestellt oder erzählt werden kann; es muss immer etwas ausgespart werden.Das gilt natürlich umso mehr für das Einzelbild.

Eviction Struggle könnte als einzige große Unbestimmtheitsstelle bezeichnet werden, da aufgrund der medialen Bedingungen notwendigerweise der weitaus größte Teil der möglichen Geschichte ausgespart werden muss. So würde eine Bestimmung der Unbestimmtheitsstellen hier wohl nicht weiterführen, trotzdem ist es wichtig, genau darauf hinzuweisen, denn so wird noch einmal deutlich, welch begrenzte Mittel das Einzelbild für das Erzählen im Sinne einer klassischen Narration zur Verfügung hat.

 

Graduierbarkeit von Narrativität

Aufgrund der geringen Anzahl der Kunstwerke, die dem klassisch-narratalogischen Erzählen entsprechen, erscheint innerhalb einer Untersuchung narrativer Aspekte der bildenden Kunst die Annahme der Graduierbarkeit von Narrativität als der »Fähigkeit von Medien und Werk(teil)en, das Narrative bzw. Geschichten zu vermitteln bzw. zu realisieren«[35] als die einzige Möglichkeit, nicht nur eine marginale Menge von Werken berücksichtigen können. Die Graduierbarkeit von Narrativität bemisst sich demnach an dem Verhältnis des Anteils von im Werk tatsächlich vorhandenen narrativen Elementen und der notwendigen erzählerischen Ergänzung – der Narrativierung durch den Betrachter. Der Begriff der Narrativierung ist zentral. Er wird von verschiedenen Erzählwissenschaftlern gebraucht und beschreibt die Fähigkeit oder Handlung des Betrachters, der den Rest der Geschichte imaginieren muss.[36]

Aber was löst beim Betrachter den Reflex aus zu narrativieren? Im Rahmen einer konkreten erzählerischen Analyse kann es nicht das Ziel sein, die Entscheidungen oder die Reflexe beim Betrachter zu untersuchen, die dazu führen, einen Text oder ein Bild narrativierend zu lesen.[37] Wichtiger sind vielmehr »das Erzählerische anzeigende Stimuli, die außerhalb des Wahrnehmenden im Objekt selbst oder in dessen Kontext beobachtet werden können«.[38] Mit Wolf sind »unter Stimulus allgemeine, auch implizite Elemente, die zur Anwendung spezifischer narrativer Schemata führen können«, zu verstehen.[39] Diese Stimuli begegnen in der erzähltheoretischen Literatur auch als cues.[40]

 

Narreme und Stimuli

Neben der Katgeorie der Stimuli bietet der Begriff des Narrems einen Ausweg aus dem Dilemma der schwierigen Beschreibbarkeit narrativer Strukturen. Die »erkennbare Präsenz«[41] eines Narrems gehört zu den werkinternen Stimuli, für dessen Darstellung Wolf sich an die vorhergehenden Ausführungen von Ryan und Prince anlehnt. Narreme können als »Faktoren von Narrativität; Kennzeichen, inhaltliche Hohlformen und Syntaxregeln des Narrativen«[42]gelten. Dementsprechend können sie eingeteilt werden in qualitative (z.B. Sinndimension, Darstellungsqualität und Erlebnisqualität), inhaltliche (z.B. Zeit, Ort, antropomorphe Wesen, Geschehen) und syntaktische Narreme (z.B. Werk- bzw. textinterne Relevanz, formale und thematische Einheitsbildung, Relevanz).

In Eviction Struggle ist eine typische amerikanische Vorstadt zu sehen und, relativ klein, an nicht besonders prominenter Stelle die offensichtlich wütende Auseinandersetzung mehrerer Männer. Das Davor und das Danach konstituiert sich bei der Betrachtung allein durch das Wissen um bestimmte Handlungsabläufe bzw. menschliche Mechanismen, in diesem Falle Uneinigkeit, Auseinandersetzung, Eskalation bzw. Deeskalation. Dass also dem, was wir hier sehen, eine Uneinigkeit vorausgeht und eine Steigerung oder Beilegung des Streits folgt, entnimmt der Betrachter dem Bereich seines eigenen »Weltwissens«. Jeff Wall selbst macht zu der Vergangenheit und der Zukunft der Geschichte keine Angaben. Allerdings nutzt Wall die Möglichkeit des Bildtitels, weiteren Aufschluss über den Inhalt des Bildes zu geben, indem er mit Eviction Struggleangibt, dass es sich bei der Auseinandersetzung um eine Räumung handelt. Hier ist also etwas wie eine intermediale Zuhilfenahme der Sprache zu konstatieren. Der Titel wirkt, genauso wie die auf dem Bild dargestellte Szene, geschichtenindizierend und erfüllt das qualitative Narrem der Sinndimension ebenso wie das inhaltliche Narrem Handlung (»Struggle«) und dadurch, indirekt, das der Handlungsträger und schließlich das syntaktische Narrem der Einheitsbildung

Im Hinblick auf das Thema dieses Bandes ist es aufschlussreich, abschließend auf den Aspekt der Inszenierung einzugehen. Die Fotografien Jeff Walls sind bekanntermaßen minutiös vorbereitet und inszeniert. Dies wird spätestens bei genauerem Hinschauen offensichtlich. Die Fotografie Eviction Struggle mag zu den weniger offenkundig inszenierten Bildern Walls gehören, jedoch lässt seine Installation zusammen mit bewegten Nahaufnahmen der Akteure keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Zudem legt die für Wall typische Art und Weise der Installation eines Dias auf einem Leuchtkasten nahe, dass es sich nicht um eine dokumentarische Aufnahme handelt – oder dass das Bild zumindest nicht als Dokumentation gelesen werden soll. Beides – die Ergänzung durch die Videos und die Art der Präsentation – können als Stimuli gelesen werden, die sich auf die Darstellungsqualität beziehen. Das heißt also, dass allein durch die Präsentationsweise die Imagination des Betrachters angeregt wird und die Inszenierung als Stimulus für das kognitive Schema der Narration fungieren kann.

Eviction Struggle kann also durchaus als narrativ bezeichnet werden, wenn auch sein narratives Potential, im Gegensatz beispielsweise zu Bildersequenzen und anderen – besonders zeitgebundenen – Medien relativ gering ist. Das wiederum verlangt dem Rezipienten ein hohes Maß an eigener Narrativierung ab; die Geschichte muss also fast vollständig von ihm selbst erzählt werden. Entscheidend ist, dass es die Festlegung einer Minimaldefinition des Narrativen und die Annahme der Graduierbarkeit von Narrativität ermöglichen, die Frage nach dem erzählerischen Gehalt des Werkes differenziert zu beantworten und auf dieser Grundlage eine präzise Werkanalyse vorzunehmen.



[1]     Dieser Aufsatz basiert zu großen Teilen auf den Erkenntnissen meiner Dissertation. Siehe Scheuermann, Barbara Josepha: Erzählstrategien in der zeitgenössischen Kunst. Narrativität in Werken von William Kentridge und Tracey Emin, Köln, Univ., Diss., 2005. Unter: http://tiny.cc/Scheuermann2005 (Stand: August 2010).

[2]     Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und der Poesie. Berlin, 1766, S.35.

[3]     Wickhoff, Franz: Römische Kunst (Die Wiener Genesis). Hrsg. v. Max Dvoràk. Berlin 1912.

[4]     Jäger, Thomas: Die Bilderzählung. Narrative Strukturen in Zyklen des 18. und 19. Jahrhunderts. Von Tiepolo und Goya bis Rethel, Petersberg 1998, S.12. Thomas Jäger führt das Problem der kunstwissenschaftlich vernachlässigten Erzählweisen auf die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende Konzentration auf das Einzelbild und dessen Ikonologie zurück.

[5]     Vgl. zu dieser Diskussion Karpf, Jutta: Strukturanalyse der Mittelalterlichen Bilderzählung. Ein Beitrag zur kunsthistorischen Erzählforschung. Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte, Bd. 2, Marburg 1994, S.13-15.

[6]     Kemp, Wolfgang: »Über Bilderzählungen«. In: Glasmeier, Michael (Hg.): Erzählen. Berlin, 1994, S.55-70, hier S. 67.

[7]     Kibédi Varga, Aron: »Visuelle Argumentation und visuelle Narrativität«. In: Harms, Wolfgang (Hg.): Text und Bild, Bild und Text, DFG-Symposium 1988. Stuttgart, 1990, S.356-367, hier S.360-365.

[8]     Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Text des Bildes. Möglichkeiten und Mittel eigenständiger Bilderzählung. München, 1989.

[9]    Thürlemann, Felix: »Geschichtsdarstellung als Geschichtsdeutung. Eine Analyse der Kreuztragung (fol.19) aus dem Pariser Zeichnungsband des Jacopo Bellini«. In: Kemp 1989 (wie Anm. 8), S.89-115, hier S.90f.

[10]   Wolf, Werner: »Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie«. In: Nünning, Ansgar; Nünning, Vera: Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier, 2002, S.23-103.

[11]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.28f. Das Narrative als »kognitives Schema« wird hier dem Narrativen als »Qualität bereits der Lebenswelt und ihrer Erfahrung« bzw. dem Narrativen als »Eigenschaft von in Artefakten und Texten realisierten oder auch virtuellen possible worlds« vorgezogen. (Diese Auffassung teilt Wolf u.a. mit Marie-Laure Ryan und Filmwissenschaftlern wie David Bordwell.) Als Motivation für dieses kognitive Schema nennt Wolf »anthropologische Grundbedürfnisse des Menschen« wie Sinnbedürfnis, Erlebnishunger und Spieltrieb. Er teilt diese »werkexternen Faktoren des Narrativen« ein in die »Sinngebungs- oder ›philosophische‹ Funktion«, die »repräsentierende und (re-)konstruierende Funktion« sowie die »kommunikative, soziale und unterhaltende Funktion«. Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.32ff.

[12]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.28.

[13]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.37.

[14]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.31.

[15]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.73.

[16]   »Der Terminus Diegese (›diégèse‹) wurde 1951 von Etienne Souriau in die Filmtheorie eingeführt zur Bezeichnung der im Film dargestellten Welt. Gérard Genette übernahm ihn 1972 in die literaturwissenschaftliche Erzähltheorie als ›das raumzeitliche Universum der Erzählung‹ […]. Souriaus und Genettes ›Diegese‹ darf nicht mit dem Begriff der Diegesis verwechselt werden, mit dem Platon […] generell die dichterische Rede bezeichnet.« Martinez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie [1999]. 5. Aufl. München, 2003, S. 23f., Anm. 4. Die entsprechenden formalistischen bzw. strukturalistischen Termini lauten ›fabula‹ und ›sjužet‹ (Tomaševskij) bzw. ›histoire‹ und ›discours‹ (Tzvetan Todorov).

[17]   Stanzel, Franz K.: Die typischen Erzählsituationen im Roman. Wien, 1969, S.22f.

[18]   vgl. hierzu Martinez/Scheffel 2003 (wie Anm. 16), S.48.

[19]   So verwundert es nicht, dass die an der Universität von Hertfordshire am 12. September 2005 abgehaltene Konferenz zu den Beziehungen zwischen Text, Narrativen und Bild den Titel trug: »Show & Tell: Relationships between Text, Narrative and Image«.

[20]   Vgl. hierzu Griem, Julika; Voigts-Virchow, Eckart: »Filmnarratologie: Grundlagen, Tendenzen und Beispielanalyse«. In: Nünning/Nünning 2002 (wie Anm. 10), S.155-183, S.161f.

[21]    Griem/Voigts-Virchow 2002 (wie Anm. 20), S. 162, Anm. 16.

[22]   Vgl. zu dieser Diskussion Griem/Voigts-Virchow 2002 (wie Anm. 20), S. 162, Anm. 20: »Branigan […] teilt mit Bordwell […] weitgehend den Zweifel an Sender-Empfänger-Kommunikationsmodellen und sieht die Erzählung primär als Konstruktion im Leseprozess.«

[23]   »The video element was made in conjunction with the transparency of Eviction Struggle as an experiment in the relation between still and motion pictures. Each of the figures in the picture was filmed in slow motion from two angles, one at approximately the angle at which they are seen in the large photo, and one reverse angle, taken from a position within the picture’s space. Each view lasts between 3 and 10 seconds. For each figure, the two views were edited into a loop in alternating patterns, each shot linked to the next with a lap dissolve. The loops, which run continuously when the work is exhibited, are shown on a screen set into the reverse side of the wall on which the transparency in its light box is hung. The arrangement of the screens follows, in general, the positions of the figures in the picture.« Jeff Wall, 1995, zit. in Duve, Thierry de; Pelenc, Arielle; Groys, Boris: Jeff Wall. London, 1996, S.65.

[24]   Ähnliche Überlegungen stellt Homay King an: »Walls Vergrößerung und Zeitlupenanimation der Figuren (in den Videobildern) fordern uns vielmehr auf, unsere eigene Betrachterposition im Hinblick auf Aspekte des Ortes und der Dislozierung zu überprüfen. [...] Außerdem lösen die Nahaufnahmen in der Videokomponente von Eviction Struggle die menschlichen Figuren aus dem Kontext des großen Landschaftsbildes heraus. Die Figuren scheinen daher bis zu einem gewissen Grad abstrahiert.« King, Homay: »Der lange Abschied: Jeff Wall und die Filmtheorie«. In: Ausst.-Kat. MUMOK Wien: Jeff Wall. Photographs. 22. März bis 25. Mai 2003 (Red. Achim Hochdörfer). Köln, 2003, S.118-139, hier S.126.

[25]    Martinez/Scheffel 2003 (wie Anm. 16), S.68.

[26]    Martinez/Scheffel verweisen auf Homers Odyssee und Grillparzers Der arme Spielmann. Zu denken wäre auch an Jostein Gaarders Sophies Welt oder John Irvings Garp und wie er die Welt sah.

[27]   Kemp 1994 (wie Anm. 6), S.65: »Die Reihenfolge der drei genannten Aspekte bildet sich durchaus als Rangfolge in der Geschichte der Erzählforschung ab. Die meisten Untersuchungen befassten und befassen sich mit den Erzählungen – ganz gleich, ob die Analysen strukturanalytisch, gattungs-, motiv- oder darstellungsgeschichtlich orientiert sind. Danach kommen Untersuchungen über den Autor und über den Erzähler. Und erst in den letzten 25 Jahren wendet sich das Interesse vermehrt dem Dialog zwischen Erzählung, Erzähler und Adressaten zu.«

[28]   Es ist allerdings möglich, durch das Verändern der Belichtungszeit auch in der Fotografie die Zeit zu dehnen. Dafür sind Thomas Ruffs nicht-narrative Fotografien von Sternen ein Beispiel. Weniger als die Belichtungszeit der Kamera spielt hierbei eine Rolle, dass das Licht der Sterne sehr lange braucht, um die Erde zu erreichen, so dass auf den Fotografien neben Sternen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme existieren, auch Sterne zu sehen sind, die vor Jahrtausenden verglüht sind. Hier findet eine extreme Zeitraffung statt; von einer Momentaufnahme kann keine Rede mehr sein. Lange Belichtungszeiten machen es zudem möglich, Bewegung im Bild, in einem ›Augenblick‹, festzuhalten.

[29]   Vgl. u. a. Heinrich, Christoph: »Nachwort«. In: Ders. (Hg.): Geschichtenerzähler. Hamburg, 2005, S.57-59: »Eine jüngere Generation zeigt Ansätze des Narrativen und reflektiert in ihren Werken über die Möglichkeit, mit bildnerischen Mitteln eine Geschichte zu erzählen – oder eben auch die Unmöglichkeit, dies zu tun. [...] Das Rauschen des kontinuierlichen Stroms von Geschichten und Storys, wie er durch die elektronischen Medien [...] bildet den Hintergrund für Erzählungen, die nicht linear, sondern assoziativ und analytisch gebrochen sind.« Ebenda, S.57f.

[30]   Kimmich, Dorothee: »Die Bildlichkeit der Leerstelle«. In: Adam, Wolfgang; Dainat, Holger; Schandera, Gunter: Wissenschaft und Systemveränderung. Rezeptionsforschung in Ost und West – eine konvergente Entwicklung. Heidelberg, 2003, S.319-39, hier S.321. Im Gegensatz zu den Literaturwissenschaften, in denen man Auslassungen nach Wolfgang Iser Leerstellen nenntund auch den Begriff der Ellipse verwendet, der Filmtheorie, die von ›suture‹ und verschiedenen Schnitttechniken spricht, und der Rezeptionsästhetik, die den Begriff der Unbestimmtheitsstelle geprägt hat, hat man diesen Begriff nur mit Zögern in die kunsthistorische Terminologie aufgenommen.

[31]   Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin, 1992, S.313.

[32]   Dotzler, Bernhard: »Leerstellen«. In: Bosse, Heinrich; Renner, Ursula (Hg.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg, 1999, S.211-230, hier S.213.

[33]   Vgl. Kimmich 2003 (wie Anm. 30), S. 323.

[34]   Kimmich 2003 (wie Anm. 30), S. 323.

[35]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.42. Vgl. hierzu auch Scheuermann 2005 (wie Anm. 1), S. 89ff.

[36]   Bei Bordwell und Chatman begegnet Narrativierung als »inference« (»Schlussfolgerung«). Vgl. Bordwell, David: Making Meaning. Inference and Rhetoric in the Interpretation of Cinema. Cambridge und London, 1989; Chatman, S.: Story and Discourse. Ithaca, 1978. Chatman nennt den Vorgang des Narrativierens auch »Reading out«: »From the surface or manifestation level of reading, one works through to the deeper narrative level. That is the process I call, technically, reading out.« Ebenda, S. 41.

[37]   David Herman allerdings fordert: »Given that scripts and stories are in some sense mutually constitutive, how readers and listeners process a narrative – and indeed whether they are able to process a narrative – depends on the nature and scope of the world knowledge to which it is indexed. Postclassical narratology should therefore study how interpreters of stories are able to activate relevant kinds of knowledge with or without explicit textual cues to guide them. At the same time, it should investigate how narratives, through their forms as well as their themes, work to privilege some world models over others.« Herman, David: »Scripts, Sequences, and Stories: Elements of a Postclassical Narratology«. In: PMLA (Publications of the Modern Language Association of America, Jg. 112, Oktober 1997, S. 1046-1059, hier S. 1057.

[38]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S. 43.

[39]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S. 43, Anm. 42.

[40]   Vgl. Herman, David: »Scripts, Sequences, and Stories: Elements of a Postclassical Narratology«. In: PMLA (Publications of the Modern Language Association of America), Jg. 112, Oktober 1997, S. 1046-1059.

[41]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S. 43. Vgl. zu Narremen bzw. »narretemes« Ryan, Marie-Laure: »The Modes of Narrativity and Their Visual Metaphors«. In:, Style, Volume 26, Nr.3, Northern Illinois University 1992, S.368-387; Prince, Gerald: »Remarks on Narrativity«. In: Wahlin, Claes (Hg.): Perspectives on Narratology: Papers from the Stockholm Symposium on Narratology. Frankfurt am Main, 1996, S.95-106.

[42]   Wolf 2002 (wie Anm. 10), S.42.